Religion: Scientology sitzt nun im Herzen Hollywoods
Als David Wark Griffith 1916 seinen Blockbuster „Intolerance“ drehte, ließ er im Studio ein Jerusalem wie zu Christi Zeiten aufbauen. Nun brauchte er nur noch den Ölberg. Sein Kameramann entdeckte in nächster Nähe den Olive Hill, der sich als ideal erwies für den Blick auf die Heilige Filmstadt und ihren Erlöser. Wer nun heutzutage vom Olive Hill gen Süden schaut, blickt direkt auf den L. Ron Hubbard Way. Vor fünfzehn Jahren genehmigte der Stadtrat von Los Angeles die Umbenennung der Berendo Street zu Ehren des Gründers der Church of Scientology. L.A. ist immer noch ein gutes Pflaster für Erlöser. Bald wird die Präsenz der „Kirche“ in der Filmstadt noch sichtbarer sein. Fährt man den Sunset nur zwei Avenues weiter nach Osten, erhebt sich dort ein Gebäude mit rötlich-olivener Klinkerglasfassade: „KCET“ steht in großen Lettern dort, wo bald der Scientology-Schriftzug prangen dürfte. Die Sekte hat das älteste kontinuierlich für Filmezwecke genutzte Studio in Hollywood gekauft.
Zentrum für "religiöse Sendungen"
An der Adresse 4401 Sunset Boulevard residierten viele Jahre das B-Film-Studio Monogram Pictures und sein Nachfolger Allied Artists, hier entstanden die Innenszenen Hunderter von Western, von den Charlie-Chan-Detektivfilmen und dem Charlton Heston-Monumentalfilm „El Cid“.
Anfang der Siebziger, als das klassische Studiosystem sich in Auflösung befand, machte Allied seine Immobilie zu Geld, und der nächste Mediennutzer zog ein: die öffentlich-rechtliche Fernsehstation KCET. Nun, vierzig Jahre später, sieht sich wiederum die Fernsehindustrie von einem neuen Medium attackiert, und prompt wechselt das Gebäude erneut seinen Besitzer. „Das neue Studio“ – so eine Pressemitteilung der Scientologen – „ermöglicht es der Kirche, eines der fortgeschrittensten Zentren für religiöse Sendungen zu errichten.“
Das bisherige Medienzentrum der Sekte befindet sich im kalifornischen Riverside County, aber die 28.000 Quadratmeter an Studiohallen, Nachbearbeitungsräumen und Büros am Sunset Boulevard verdoppeln ihre Kapazitäten. Außerdem sind nun Studios, Druckzentrum und das Scientologen-Hauptquartier im L. Ron Hubbard Way – neu eröffnet im vorigen August – alle in Los Angeles konzentriert. Dort hatte Scientology bereits Ende der Sechzigerjahre sein erstes „Celebrity Centre“ gegründet; heute gibt es davon Ableger in Paris, Wien, Düsseldorf, München, London, New York, Florenz, Las Vegas und Nashville.
Zur gleichen Zeit, in der Scientology ihre Medienaktivitäten bündelt, bläst der Organisation auch in Amerika der Gegenwind (etwas) stärker ins Gesicht. Anfang des Jahres sickerte durch, dass der bisher hochrangigste Prominente Scientology verlassen habe: Paul Haggis, zweimal Oscar-gekrönter Drehbuchautor für „Million Dollar Baby“ und „L.A. Crash“ und Regisseur von „Im Tal von Elah“ und „72 Stunden“.
Haggis war "Operating Thetan VII"
Haggis war dreieinhalb Jahrzehnte Sektenmitglied und hatte deren höchstes „Level der Erkenntnis“ erreicht: Er war ein „Operating Thetan VII“, ein Titel der erst nach endlosen Stunden des Lernens (sprich: der Gehirnwäsche) verliehen wird. Scientology-kritische Experten schätzen, dass sich die Kosten der Kurse bis zum höchsten Thetan-Level auf bis zu einer halben Million Dollar belaufen können. Inzwischen wurde eine noch höhere Erkenntnisstufe eingeführt, der „Thetan VIII“, den nur erreichen kann, wer sich Intensivkursen auf Schiffen unterzieht.
Dieser Art von Indoktrination hatte sich Haggis verweigert, obwohl er in seinem Gehorsam sehr weit gegangen war. Die „Kirche“ hatte seiner Frau befohlen, jeden Kontakt zu ihren Eltern abzubrechen (die aus der Sekte ausgetreten waren), und „obwohl es ihr schrecklichen Schmerz bereitete“, hatte sich Haggis’ Frau an diese Anweisung gehalten.
Selbst dies war für Haggis noch kein Knackpunkt gewesen. Der kam erst, als seine jüngste Tochter Katy einem Scientologen-Freund gestand, dass sie lesbisch sei. Der Freund begann daraufhin, andere Sektenmitglieder zu warnen: „Katy ist 1.1.“. Der Code bezieht sich auf die Kategorisierung von Menschen in L. Ron Hubbards „The Science of Survival“, und ein „1.1.“ ist demnach ein „verdeckter Feind“, und das seien die gefährlichsten und heimtückischsten. Derartige Personen hätten Gelegenheitssex, seien Sadisten und Homosexuelle.
Diese Bemerkungen finden sich in den neueren Auflagen des kanonischen Scientology-Buches nicht mehr, und offiziell wird Homosexualität nicht mehr verurteilt. Doch deren Missbilligung scheint in Sekten-Kreisen noch weit verbreitet zu sein. Als 2008 in Kalifornien über die gleichgeschlechtliche Ehe abgestimmt wurde, sprachen sich Scientologen öffentlich für deren Verbot aus.
Haggis schrieb an zwanzig Scientologen-Freunde
Haggis schrieb nun an den Chef-Pressesprecher der Kirche, an Tommy Davis (Sohn der Schauspielerin Anne Archer, bekannt als Frau von Michael Douglas in „Eine verhängnisvolle Affäre“), und kritisierte das offizielle Schweigen: „Schweigen ist Zustimmung, Tommy. Ich weigere mich, zuzustimmen … Hiermit gebe ich meine Mitgliedschaft in der Kirche zurück.“
Solch prominente Austritte werden ansonsten höchst diskret behandelt. Haggis jedoch schickte seinen Brief an mehr als zwanzig Scientologen-Freunde weiter, darunter an Anne Archer, John Travolta und Sky Danton, den Gründer von EarthLink. So wird die Psycho-Sekte langsam auch zum Problemthema in den Vereinigten Staaten.
In Hollywood selbst arbeitet der Regisseur Paul Thomas Anderson – bekannt durch „Magnolia“ und „There will be Blood“ – an einem Film namens „The Master“. Es soll darin um eine Kirche namens „The Cause“ (Die Sache) gehen und um die Beziehung zwischen deren charismatischem Gründer und einem jungen Herumtreiber, der seine rechte Hand wird. Das Wort „Scientology“ kommt nirgends im Drehbuch vor, aber alle warten gespannt auf den ersten Hollywood-Film, der sich die Sekte vornimmt, die sich im Herzen der Traumfabrik eingenistet hat.
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