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Proteste in Syrien: "Sie können uns umbringen, aber nicht stoppen"
Er liegt auf dem Betonfußboden eines fensterlosen Raums. Seinen Kopf und seine Füße haben sie durch einen Autoreifen gezwängt. Gekrümmt und hilflos wartet er ab, was als Nächstes geschehen wird. Seine Hände sind mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt.
Der kalte Stahl schneidet in seine Gelenke. Die Augenbinde ist etwas verrutscht, durch einen schmalen Streifen sieht er die Männer vom Geheimdienst um ihn herumstehen, fünf, vielleicht sechs. Sie brüllen ihn an. Sie wollen Informationen, vor allem Namen. Dann schlagen sie mit flachen Gummiknüppeln auf seine nackten Fußsohlen. Von irgendwoher hört er Schreie. Die Stimme eines Freundes. Zusammen wollten sie in ihrer Heimatstadt im Norden Syriens Proteste gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad organisieren. Nur deswegen ist Asis überhaupt hier. Denn eigentlich studiert er seit drei Jahren in Deutschland.
Doch als er im Fernsehen sah, wie das ägyptische Volk den Diktator Husni Mubarak bezwang, reichte er an seiner Universität ein Urlaubssemester ein. Er glaubt fest daran, dass der politische Wandel auch in seinem Heimatland möglich ist. Und will seinen Beitrag dazu leisten.
"Das Regime hat uns das Land gestohlen"
„Ich habe lange nachgedacht und mich gefragt, warum es in allen Bereichen Probleme gibt, in der Bildung, dem Gesundheitssystem, auf dem Arbeitsmarkt“, sagt er. „Und irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass das Regime schuld ist: Sie haben uns das Land gestohlen.“
Jetzt sitzt er in einem Straßencafé in der Berliner Innenstadt. Er ist Mitte 20, mit schmalem Gesicht und kurz geschnittenem Bart. Mit Jeans, Kapuzenpulli und Turnschuhen sieht er aus wie ein durchschnittlicher Student auf einem deutschen Campus. Nur der Ernst in seinen Augen und die unterdrückte Nervosität seiner Gesten passen nicht recht ins Bild. Er starrt auf die Tischplatte, knetet seinen Kaffeebecher. Die Handschellen haben dunkle Narben an den Handgelenken hinterlassen, in einigen Fingern hat er bis heute kein Gefühl.
Er heißt eigentlich nicht Asis. Doch sein richtiger Name und die Stadt, aus der er stammt, können nicht veröffentlicht werden. Er geht davon aus, dass die syrischen Geheimdienste ihn auch in Deutschland beobachten. Gut möglich, dass sie an seiner Familie Rache nehmen, wenn seine Identität bekannt wird. „Wir können nicht frei reden“, sagt er leise, „weder in Syrien noch hier.“
Massaker und Folter sind Teil der staatlichen Politik
Das Regime versucht mit brutaler Gewalt, die Proteste zu ersticken. Rund 1200 Menschen sind bereits gestorben, rund 10.000 wurden verhaftet. In einem aktuellen Bericht hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Massaker, Massenverhaftungen und Folter dokumentiert: „Die Verstöße werden nicht nur willkürlich, sondern auch als Teil der staatlichen Politik eingesetzt“, heißt es dort. Menschenrechtlern in Syrien zufolge dient die Folter als kollektive Bestrafung, sie solle Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten. Die Informationen lassen sich nicht unabhängig prüfen. Ausländische Reporter erhalten keine Einreisevisa. Doch das, was Asis schildert, deckt sich mit den Angaben verlässlicher Quellen in Syrien.
Nach seiner Ankunft in Syrien im März tut sich Asis mit einigen Freunden zusammen. Er kauft schwarze Farbe, um Botschaften an die Fassaden zu sprühen, druckt Flyer mit Aufrufen zu Demonstrationen aus. Seine Eltern reden auf ihn ein, er solle um Himmels willen Ruhe geben. Sie wissen, dass das, was er tut, lebensgefährlich ist. Asis antwortet: „Ihr seid die Generation der Angst. Wir wollen keine Angst mehr haben.“
Als am 15. März Dutzende in Damaskus demonstrieren, schöpft er Mut: Es ist der erste offene demokratische Protest, seitdem die regierende Baath-Partei vor 48 Jahren den Notstand erließ. Das Regime lässt sein Volk von 14 Geheimdiensten bespitzeln. Laut Schätzungen kommt auf jeden 153. Erwachsenen ein Geheimdienstmitarbeiter. Genaueres ist nicht bekannt, denn niemand kontrolliert die Dienste. Sie können tun, was sie wollen, und das wissen sie. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bringt Syrien wegen eines geheim gehaltenen Reaktors vor den UN-Sicherheitsrat. Eine Mehrheit des IAEA-Gouverneursrats stimmte in Wien für eine entsprechende Empfehlung, die von der US-Regierung und zwölf ihrer Verbündeten eingebracht worden war. Syrien habe den Bau eines Atomreaktors nicht gemeldet und damit gegen Vereinbarungen verstoßen. Die Empfehlung der Atomenergiebehörde ist unabhängig von den Bemühungen europäischer Länder, eine Verurteilung des Regimes des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad durch den Sicherheitsrat zu erreichen. Dabei geht es um das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten. Der UN-Sicherheitsrat debattiert über eine von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Portugal eingebrachte Resolution gegen Syrien. Der Entwurf verurteilte die gewaltsame Niederschlagung der Proteste durch das Regime. Der Text stieß jedoch in Russland auf Widerstand. Die Regierung in Moskau hat sich gegen eine Einmischung von außen ausgesprochen. Moskau erklärte, es handele sich in Syrien um einen internen Konflikt, den das Land selbst lösen müsse. Der Regierung müsse Zeit gegeben werden, die versprochenen Reformen einzuleiten.
Zwei Tage später, um sechs Uhr früh, klingelt es an der Tür von Asis’ Elternhaus. Der Geheimdienst ist mit zwölf Männern gekommen, um ihn zu holen. „Antiterroreinheit“ steht auf ihren Jacken. Asis atmet tief durch, ehe er beginnt, von den vier Wochen zu erzählen, die er im Gefängnis verbrachte.
Mehrmals am Tag zerren sie ihn in den Verhörraum. „Immer wenn ich das Klicken von Handschellen hörte, bekam ich unglaubliche Angst. Denn das Geräusch bedeutete, dass sie mich wieder holen kommen.“ Immer wieder stülpen sie ihm den Reifen über.
Sie prügeln auf ihn ein, treten gegen seinen Kopf, drücken Zigaretten auf seiner Haut aus. „Wer bezahlt dich?“, fragen sie. „Hat dich der deutsche Geheimdienst geschickt?“ Danach werfen sie Asis’ blutenden Körper zurück in die Zelle. Sie müssen ihn durch den Gang schleifen, weil seine Füße von den Schlägen so dick wie Fußbälle sind.
Geheimdienst schlägt Asis' Geschwister, um ihn zu zermürben
Am zweiten Tag hört er ganz in der Nähe die Stimme seines Bruders und beginnt zu weinen. „Bitte lasst meinen Bruder in Ruhe“, fleht er. Der Junge ist 14 Jahre alt. Dann erfährt er, dass sie auch seine 17-jährige Schwester haben. „Sie haben beide geschlagen, ins Gesicht und auf den Rücken“, erzählt er heiser. „Sie wurden nach einem Tag wieder freigelassen, doch das wusste ich damals nicht.“
Allmählich verändert sich die Atmosphäre. Die Sicherheitskräfte wirken zunehmend angespannt und erschöpft. Spät in der Nacht kann Asis manchmal den Fernseher hören, der im Büro des Wachmanns läuft. Er schnappt auf, dass in Deraa im Süden Massenproteste ausgebrochen sind, die auf immer mehr Städte übergreifen.
Nach zehn Tagen führen sie ihn aus seiner Zelle und stoßen ihn in einen Bus. Drinnen trifft er drei seiner Freunde wieder. Die Fahrt endet vor einer Station des Geheimdienstes in Kafr Susseh, einem Vorort von Damaskus.
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Knapp zehn Männer, gefesselt und nackt, stehen mit dem Gesicht zu der Mauer rings um den Hof. Die Beamten rasieren Asis den Schädel und nehmen ihm die Kleidung ab. Im Vorbeigehen sieht er ein bizarres Foltergerät, ein Brett mit Ketten und Handschellen.
Einer der Häftlinge wird auf der Konstruktion festgeschnallt. Die Planken lassen sich spitzdachförmig hochklappen, sodass der Rücken stark überdehnt wird. Als er die Schreie des Mannes hört, spürt Asis die Angst in sich aufsteigen, er denkt: „Ich habe doch schon alles verraten. Ich bin nur hier, um gefoltert zu werden.“
Dann bringen sie ihn in eine Zelle, etwa zwei mal vier Meter groß. Darin drängen sich bereits fast 20 Männer. Für Asis war es ein entscheidender Augenblick. Er lächelt, als er sich daran erinnert. „Ich hätte weinen können vor lauter Glück“, sagt er. „Ich kann gar nicht beschreiben, wie froh ich war, diese Leute zu sehen.“
Denn sämtliche Häftlinge waren Demonstranten – Juristen, Tagelöhner, Studenten und Angestellte, aus Deir Assur im entlegenen Nordosten, den ländlichen Dörfern im Süden, aus den Küstenstädten Latakia und Homs. „Das ganze Mosaik Syriens war vertreten“, sagt Asis. „Da wurde mir klar: Wir sind nicht allein.“
Schlafen im Stehen in der engen Zelle
Nach und nach werden immer mehr Gefangene in die Zelle gesteckt. 36 sind sie am Ende. Die Enge wird unerträglich. Es ist so stickig, dass Asis kaum noch atmen kann. „Nachts lagen wir wie Spaghetti übereinander“, schildert er. „Ich habe mehr als zehn Nächte lang nicht geschlafen. Manchmal habe ich die ganze Nacht auf einem Bein gestanden, damit die anderen Platz zum Schlafen haben.“
Wie zum Zeitvertreib prügeln die Männer vom Geheimdienst auf ihn ein, wann immer er zur Toilette geht. Ab und an zwingen sie die Häftlinge auch, einander zu schlagen oder im Chor zu bellen wie Hunde.
Asis hatte Glück. Er wird überraschend entlassen, auch seine drei Freunde kommen frei. Zwei Tage später sitzt er im Flugzeug nach Deutschland. Er hebt das Kinn, schaut über die Terrasse des kleinen Cafés, doch die Straße vor ihm scheint er kaum wahrzunehmen.
Mit den Gedanken ist er noch in Syrien, bei den Männern, die während seiner Haftzeit seine Freunde wurden. Er hat das Land nur aus Sorge um seine Familie verlassen. Wenn es nach ihm ginge, hätte er sich gleich der nächsten Demonstration angeschlossen. „Ich habe keine Angst mehr“, sagt er. „Im Gefängnis haben wir gesagt: Sie können uns umbringen, egal. Die Revolution wird weitergehen.“
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (13.06.2011)
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