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Meinung | Sicherungsverwahrung: Das Ende einer aktionistischen Irrfahrt
Die Sicherungsverwahrung muss vollständig neu geordnet werden; eine Irrfahrt kommt an ihr Ende. Für dieses Video wurde kein passender Videoplayer gefunden. Zum abspielen dieses Videos benötigen Sie einen aktuellen Adobe© Flash Player.
Seit 1998 hatte es alle paar Jahre immer neue Bundes- und Landesgesetze gegeben. Sie wurden nun sämtlich vom Verfassungsgericht gekippt.
Die Richter, durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Dezember 2009 unter Druck gesetzt, sagen: Die neue Regelung muss wasserdicht sein. Sie darf keine schnell gestrickte Auslegungsware werden. Und sie muss bundesweit einheitlich sein.
So kommt es eben, wenn Politiker, Gesetzgeber und manchmal auch Richter auf jedes Verbrechen sofort mit Aktionismus reagieren zu müssen glauben. Das Grundsatzurteil zur nachträglichen Sicherungsverwahrung geht auf die Verfassungsbeschwerden von vier Sexual- und Gewaltstraftätern zurück: Zwei von ihnen befinden sich in Bayern in Sicherungsverwahrung, einer in Baden-Württemberg und einer in Nordrhein-Westfalen. Der erste Kläger Er befand sich nach seinem 20. Lebensjahr nur für kurze Zeit in Freiheit. Mehrmalss hatte er Diebstähle begangen, nachdem er in Wohnungen alleinstehender Frauen eingedrungen war. Im Jahr 1978 hatte er bei einem solchen Diebstahl eine Vergewaltigung begangen. Zuletzt wurde er 1995 wegen Diebstahls in zwei Fällen verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in einer bayerischen Haftanstalt angeordnet. Bei dem Mann, bei dem die Therapie gescheitert war, gebe es eine "hohe Wahrscheinlichkeit", dass er weitere Sexualdelikte begehen würde. Der zweite Kläger Er wurde 1984 unter anderem wegen Vergewaltigung in zwei Fällen verurteilt. Nach Verbüßung der sechsjährigen Haftstrafe wurde er 1989 entlassen. Anfang 1991 wurde er erneut wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Zugleich wurde wegen fortwährender Gefährlichkeit und "sadistischer Neigungen" Sicherungsverwahrung in einer Haftanstalt in Nordrhein-Westfalen angeordnet – die vom Oberlandesgericht Köln bestätigt wurde. Beide Männer waren im Jahr 2009 jeweils zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Nach der früher geltenden zehnjährigen Höchstfrist wären sie damit zwingend zu entlassen gewesen. Doch bei ihnen wurde die Maßregel mit Blick auf die seit 1998 geltende Abschaffung der Zehnjahresfrist rückwirkend verlängert. Der dritte Kläger Er wurde 1999 wegen eines im Alter von 19 Jahren begangenen Mordes zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Er hatte eine Fahrradfahrerin vom Rad gerissen, sie erdrosselt und über der Leiche der Frau onaniert. Drei Tage vor der Verbüßung der Strafe wurde gegen ihn im Juni 2009 vom Landgericht Regensburg wegen hoher Gefährlichkeit nachträglich seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Er befindet sich in der JVA Straubing. Der vierte Kläger Er war bereits im Juli 2010 mit einem Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Er ist wegen schwerer Sexualdelikte vorbestraft und befindet sich seit 1973 – abgesehen von wenigen Monaten – fortlaufend in Haft. Zuletzt wurde er 1990 wegen versuchter Vergewaltigung und wegen Mordes verurteilt. Gegen ihn hatte das Landgericht Baden-Baden im August 2009 die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, weil er weiterhin "hochgradig" gefährlich sei. Quelle: dapd
Kern des neuen Gesetzes soll ein Abstandsgebot zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung sein. Letztere darf nicht länger mehr wie eine neue oder zusätzliche Strafe wirken. Sie soll dem Schutz der Allgemeinheit dienen, für die Täter aber vor allem als Therapiemittel erkennbar sein, nicht als gefängnishaftes Wegsperren.
Das hatten die Europarichter angemahnt. Auch die nachträgliche Anordnung solcher Verwahrung wird jetzt durch Karlsruhe sehr erschwert.
Die Folge werden härtere Ersturteile sein. Denn welcher Jurist will als zu lasch gelten, wenn ein Täter nach der Strafverbüßung neue Taten begeht?
Unbehagen im Urteilstext
Die höchsten deutschen Richter haben aber erkennbar Probleme mit den beiden schwierigsten Fragen des Themas.
Erstens, wie geht man verfassungsrechtlich mit psychisch gestörten, nicht therapierbaren Menschen um? Für sie bedeutet Sicherungsverwahrung den Freiheitsentzug nicht wegen einer Tat, sondern wegen eines geistigen Zustandes. Das ist verfassungsrechtlich gesehen Willkür.
Die Richter fanden darauf keine abschließende Antwort; man spürt im Urteilstext ihr Unbehagen.
Diese „normale“ Sicherungsverwahrung wird in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle verhängt. Sie wird schon mit dem Strafurteil angeordnet.
Sie wurde im Jahr 2002 eingeführt. Damit konnten die Gerichte eine
Sicherungsverwahrung im Urteil zunächst nur androhen. Vor dem Ende des
Strafvollzuges wurde dann aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose
entschieden, ob sie tatsächlich verhängt wurde.
Sie wurde 2004 eingeführt. Diese Maßregel konnte unter bestimmten
Voraussetzungen erst am Ende der Haftzeit kurz vor Entlassung angeordnet
werden. Dann nämlich, wenn vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe „neue
Tatsachen“ für die Gefährlichkeit des Verurteilten erkennbar wurden.
Doch solche „neuen“ Tatsachen für die Gefährlichkeit erkannten die Gerichte
nur in seltenen Fällen an. In mehreren Fällen wurden von den Gerichten
Anträge auf nachträgliche Sicherungsverwahrung abgelehnt, so dass auch
nachweislich gefährliche Sexualverbrecher auf freien Fuß kamen – und deshalb
mit hohem polizeilichem Aufwand überwacht werden mussten.
Die Zahl der Sicherungsverwahrten in Deutschland – meist gefährliche Sexual-
oder Gewaltverbrecher – ist im vergangenen Jahrzehnt von 257 im Jahr 2001
auf inzwischen rund 500 gestiegen und hat sich damit fast verdoppelt.
Quelle: dapd
Zweitens, wenn Täter wie jeder Mensch ein Grundrecht auf Freiheit haben – wie schützt man dieses Grundrecht bei potenziellen Opfern?
Die unbestimmte Dauer der Sicherungsverwahrung könne „schwerwiegende psychische Auswirkungen“ auf Verwahrte haben, steht im Urteil.
Was ist mit der schwerwiegenden psychischen Auswirkung der Angst, die Eltern und Kinder vor freigelassenen Tätern haben? Hier sprechen die Richter vage vom „Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit“. Das ist viel zu wenig.
Den „Freiheitsanspruch des Untergebrachten“, also des Täters, stützen die Richter auf das Grundgesetz. Aber dort steht das Recht auf Freiheit ja in direkter Verbindung mit dem Grundrecht auf „Leben und körperliche Unversehrtheit“.
Dieses Grundrecht haben alle Eltern und Kinder genauso wie alle Täter. Das muss der Bundestag unmissverständlich klarstellen, wenn er das neue Gesetz formuliert.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (04.05.2011)
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