Statistik |
Insgesamt online: 1 Gäste: 1 Benutzer: 0 |
|
 | |  |
 |
Kaufen auf Pump: Banken reizen mit Kreditkarten zum Schuldenmachen
Ein neuer Flügel, ein Kleid, eine Küche, ein Mountainbike – Foto für Foto huscht über den Bildschirm des Smartphones. Noch ein Laptop, eine Skulptur, ein Schlafzimmer, ein Wasserkocher, ein Badezimmer. Die junge Frau in der grünen Bluse hat sich das alles selbst gekauft, nicht so wie ihre beiden aufgetakelten Freundinnen am Tisch, die sich zahlreiche Liebhaber halten müssen, um an Kleiderschränke, Hometrainer und Beautyfarmbesuche zu kommen. Nein, die Selbstzahlerin braucht keine Männer, zumindest „nicht dafür“, wie sie meint. Dann zückt sie eine orangefarbene Bankkarte, hält sie hoch und sagt: „Sie bezahlt jetzt für mich.“ Eine Stimme aus dem Off ertönt: „Die SparkassenCard Plus, für bequeme Ratenzahlung.“
Im Internet ist der Werbefilm bereits seit gut zwei Jahren zu sehen. So lange testen einige Sparkassen die neue Karte für den scheinbar unbegrenzten Konsum bereits. Im Herbst, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, soll sie bundesweit angeboten werden. Dieser Tage erhalten alle 429 Sparkassen im Land die entsprechenden Informationen. Schulden machen, leicht gemacht, ist aber nicht nur bei den Sparkassen die Devise. Die Genossenschaftsbanken sind bereits seit einem Jahr mit einer neuen Karte unterwegs. Der Slogan: „Die Kreditkarte mit flexibler Finanzreserve“. Ob Sparkassen oder Genossenschaftsbanken, sie alle wollen nicht länger außen vor bleiben, wenn sich Konsumenten im Elektronikmarkt oder im Möbelhaus ihre Wünsche erfüllen und dafür dankbar einen Kredit des Händlers direkt vor Ort in Anspruch nehmen. Verbraucherschützer sind alarmiert, Kunden sollten sich von den flotten Werbesprüchen nicht zu leicht verführen lassen.
Zurückgezahlt werden muss jedes Darlehen. Das vergessen gerade junge Menschen allzu schnell, wie Schuldnerberater immer wieder beklagen. Das Konsumverhalten führe bei vielen dazu, dass die Rechnungen ihnen irgendwann über den Kopf wachsen würden. Laut Überschuldungsreport 2010 kommen die Hauptforderungen bei jedem fünften der 18- bis 25-Jährigen, die in finanziellen Problemen stecken, aus dem Handel.
Mit vermeintlichen Schnäppchenfinanzierungen hat dieser die Entwicklung in den vergangenen Jahren befördert. Jeder dritte Konsumentenkredit in Deutschland wird heutzutage direkt an der Ladenkasse abgeschlossen. Davon profitieren vor allem private Institute wie die Santander Consumer Bank, die beispielsweise hinter allen Finanzierungen bei Media-Markt und Saturn steckt, und die Targobank, die ehemalige Citibank. Anzahl der zahlungsunfähigen Verbraucher... Großbritannien2010: 162.4602009: 159.641plus 1,8 Prozent Deutschland2010: 139.8002009: 129.940plus 7,6 Prozent Frankreich*2010: 44.3602009: 41.045plus 8,1 Prozent Niederlande*2010: 10.4502009: 8966plus 16,6 Prozent Österreich2010: 10.2962009: 10.245plus 0,5 Prozent Schweden*2010: 78602009: 6589plus 19,3 Prozent Schweiz2010: 57192009: 5691plus 0,5 Prozent Finnland*2010: 30402009: 2854plus 6,5 Prozent Spanien2010: 9102009: 995minus 8,5 Prozent Gesamt2010: 384.8952009: 365.966plus 5,2 Prozent * Schuldenbereinigungsplan/-sanierungsverfahren Quelle: Creditreform
Sie haben sich mit ihren Kreditfabriken, durch die täglich viele Hundert Anträge laufen, genau darauf spezialisiert. Die Kunden müssen nur ihr Haushaltseinkommen an der Ladenkasse angeben und innerhalb weniger Sekunden bekommt der Verkäufer ein Signal, ob er die Ware auf Pump herausgeben darf.
Wer das neue Sofa fürs Wohnzimmer dagegen mit einem Sparkassenkredit finanzieren will, muss bislang erst in seine Filiale rennen und einen entsprechenden Ratenkredit beantragen. Doch das machen immer weniger Menschen. Die Sparkasse als größte Bankengruppe im Land, die für sich im Geschäft mit Privatkunden einen Marktanteil von 50 Prozent reklamiert, kommt bei Konsumentenkrediten gerade noch auf einen Anteil von 25 Prozent.
Zeitlich unbefristeter Kreditrahmen
Ein neues, bequemes Produkt musste her. Ein Filialbesuch reicht, um die SparkassenCard Plus zu beantragen, und schon erhält der Kunde bei entsprechender Bonität einen zeitlich unbefristeten Kreditrahmen eingeräumt. Bis zu 50.000 Euro sind möglich, über die der Verbraucher dann jederzeit verfügen kann. Immer wieder, nach Herzenslust. Der Kunde muss nur die neue EC-Karte wie eine gewöhnliche Bankkarte im Geschäft vorlegen.
„Die Kunden sind damit bei größeren Käufen im Einzelhandel nicht gezwungen, sich als Kreditkunde zu erkennen zu geben“, wirbt der oberste Sparkässler Heinrich Haasis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes für das neue Produkt. Doch was Haasis da mit so schönen Worten anpreist, ist im Grunde nichts anderes als eine der umstrittensten Kartenarten überhaupt: eine Revolving Credit Card, eine wieder aufladbare Kreditkarte. Im Gegensatz zu den in Deutschland üblichen Kreditkarten, bei denen das Geld sofort oder einmal im Monat vom Girokonto abgebucht wird, steckt hinter diesen Karten ein echter Kredit, den der Kunde nach und nach wieder zurückzahlen kann. Dieses Angebot klingt verlockend und regt zu neuen Einkäufen an. Auf die jeweils offenen Restbeträge, die schnell immer höher werden können, fallen jedoch Zinsen an. Viele Kreditkartenkonten werden ständig im Minus geführt. „Das wird teuer und führt im schlimmsten Fall zur Überschuldung“, warnt Andrea Hoffmann, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Sachsen.
Diese Karten gibt es seit vielen Jahren – mit teils stolzen Zinsen. An der Spitze steht seit Langem die Advanzia, die ihre Karten kostenlos verschickt und bei Nutzung effektiv 19,9 Prozent Zinsen pro Jahr verlangt – mehr als selbst die gierigsten Banken für einen Dispokredit auf dem Girokonto wollen. Bei der „Visa Shopping Card“ der Postbank, die ebenfalls eine sogenannte Teilrückzahlungsfunktion hat, sind es 11,9 Prozent.
Genau bei der Höhe der Zinsen wollen sich die Sparkassen abheben. „Die Konditionen der Sparkassen Card Plus liegen deutlich unter den Zinsen für Dispositionskredite und auch deutlich unter vielen Konditionen bei Angeboten im Handel“, so Diana Mollenhauer, Vertriebsmanagerin der Kreissparkasse Döbeln. Die Sachsen gehörten zu den ersten Häusern, die das Produkt testeten. Zwischen 5,5 und 13 Prozent liegt hier der effektive Jahreszins – je nach Kunde.
Nach Belieben auf Einkaufstour gehen
Bei der Kreissparkasse Saarpfalz sind es aktuell 9,2 Prozent. Die Saarländer haben gerade erst mit dem Vertrieb begonnen. Im April war die Karte das „Angebot des Monats“, Kunden wurden zusätzlich mit einem Einkaufsgutschein über 100 Euro gelockt. „Ziel ist es sicherlich nicht, Kunden in die Schuldenfalle zu jagen“, wehrt sich Vertriebsleiter Ingo Sonnenschein gegen den Vorwurf der Verbraucherschützer. Der Gefahr sei man sich bewusst, deshalb habe sein Haus den maximalen Kreditrahmen auch auf 10.000 Euro pro Kunde reduziert. Und die Karte gebe es ohnehin nur nach eingehender Beratung, so sein Versprechen. Die Genossenschaftsbanken gehen mit ihrer EasyCredit-Card, die bereits von jedem sechsten Institut angeboten wird, einen ähnlichen Weg. Auch hier können die Kunden nach Belieben mit ihrer Karte auf Einkaufstour gehen, und die Bezahlung läuft über einen Ratenkredit im Hintergrund. Ein Unterschied ist, auf den die Verantwortlichen bei dem genossenschaftlichen Kreditversorger Teambank großen Wert legen, dass ein Kunde den gewährten Kreditrahmen, hier bis zu 15.000 Euro, nur einmal ausschöpfen kann. Selbst wenn er einen Teil seiner Schulden getilgt hat, kann er nicht einfach wieder neue Schulden machen.
Die Karte lädt sich anders als bei den Sparkassen nicht direkt wieder auf. Erst nach einer abermaligen Bonitätsprüfung der Bank soll dies möglich sein. Eine Forderung der Verbraucherschützer erfüllen die neuen Karten immerhin: Sie ermöglichen, dass die Kunden einen besseren Überblick über ihre Ausgaben haben. Denn statt parallel die unterschiedlichsten Händlerkredite von den unterschiedlichsten Anbietern zu nutzen, ist alles bei einer Bank gebündelt.
Für Frank-Christian Pauli ändert dies nichts daran, dass das Schuldenmachen auch hier viel zu einfach ist. „Bezahlvorgang und Kreditvorgang sind nicht mehr getrennt, das senkt die Hemmschwelle“, so der Bankenfachmann des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen.
Be der Zahlung per “electronic cash“ muss der Kunde seine PIN (Personal
Identification Number) zur Legitimation eingegeben. In diesem Fall überprüft
das Kartenlesegerät über eine Telefonverbindung bei der zuständigen Bank, ob
die eingegebene PIN korrekt und das Konto gedeckt ist. Nur wenn beide
Bedingungen erfüllt und die Karte nicht gesperrt ist, erfolgt die Zahlung.
Bei Electronic Cash fallen für den Händler Gebühren für die Überprüfung der
Daten in Höhe von 0,3 Prozent des Umsatzes, mindestens aber 0,08 Euro an.
Zusätzlich trägt der Händler die Kosten für die Telefonverbindung. Das
Verfahren ist allerdings für den Händler sehr sicher, da ihm durch die
Autorisierungsabfrage die Zahlung durch die Bank garantiert wird.
Bei der Zahlung per Elektronischem Lastschriftverfahren (ELV) erfolgt keine
Abfrage bei der Bank zur Autorisierung. Hier werden lediglich aus dem
Magnetstreifen der Karte die Kontodaten ausgelesen. Der Kunde erteilt dann
mit seiner Unterschrift dem Händler eine einfache Einzugsermächtigung, die
dieser bei seiner Bank einreicht. So entstehen weder Kosten für eine
Telefonverbindung noch für eine Autorisierung bei der Bank. Der Händler
trägt allerdings das Ausfallrisiko, falls das Konto nicht gedeckt ist oder
die Karte gesperrt oder gestohlen wurde.
Ist die EC-Karte im Lesegerät, ist das Geld noch lange nicht überwiesen:
Zwischengeschaltet ist ein Zahlungsabwickler, wie beispielsweise easycash
mit Sitz in Ratingen. Easycash stellt die Lesegeräte und bietet seinen
Kunden einen „Komplett-Service rund um den bargeldlosen Zahlungsverkehr“:
Von der Verwaltung der Belege über das Risiko-Management und die Übernahme
von Ausfallrisiken bis hin zu einer individuellen Sperrdatei. 2009 wickelte
das Unternehmen Zahlungen im Wert von rund 52 Milliarden Euro ab. dapd/dpa
Ob sich gerade bei den bislang von vielen als konservativ gesehenen Sparkassen die neue Aggressivität auszahlt, ist umstritten – auch unter den Sparkassen selbst. „Viele meiner Gesprächspartner fürchten, dass sie mit dem Produkt ihren Ruf gefährden“, sagt der auf Sparkassen spezialisierte Unternehmensberater Rolf Beike. Auf der anderen Seite sieht aber auch er die Sparkassen unter Zugzwang. „Das Ratenkreditgeschäft war bei vielen Häusern zuletzt mehr oder weniger tot.“ Selbst die Genossenschaftsbanken seien mit der guten Vermarktung ihrer EasyCredit-Produktpalette den Konkurrenten enteilt.
Beide großen Bankenlager hoffen im Kampf um die künftige Hoheit an der Ladenkasse auch auf die EU-Kommission. Die Bürokraten in Brüssel sind diese Händlerkredite längst ein Dorn im Auge. Sie wollen durchsetzen, dass jeder Einzel- und Autohändler künftig auch eine umfassende Ausbildung zum Kreditvermittler absolviert. Dann könnten die Karten mit Teilzahlungsfunktion deutlich an Beliebtheit gewinnen.
Klar ist, die spezialisierten Kreditbanken werden mit oder ohne Entscheidung aus Brüssel den Sparkassen und Genossenschaftsbanken freiwillig keinen Prozentpunkt Marktanteil überlassen. „Die Entwicklungen in diesem Marktsegment beobachten wir genau und können gegebenenfalls mit innovativen Produkten reagieren“, kündigt Frank Kirchner, der Kartenverantwortliche bei der Targobank schon einmal an. Die Verlockungen werden nicht weniger, sich einfach mal so einen neuen Flügel, ein Kleid, eine Küche, ein Mountainbike zu leisten.
Bisher 14 Kommentare: Jetzt laden
|
Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (30.04.2011)
W
|
Aufrufe: 467
| Rating: 0.0/0 |
|  |
 |  |
 | |  |
|
|