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Kampf gegen al-Qaida: Wie Somalias mutige Bürger den Gotteskriegern trotzen
Es war nachts um zwei, als ein schwarzer Geländewagen durch Mogadischu fuhr. In ihm saß Fasul Abdullah Mohammed, al-Qaidas wichtigster Mann in Afrika. Er war der Drahtzieher der Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania, bei denen 1998 rund 224 Menschen starben. Langsam fuhr der Terrorist durch die Stadt, in seiner Tasche befanden sich mehrere Pässe und Handys, dazu 40.000 US-Dollar. Doch der Krieg hat der Hauptstadt Somalias fast überall den Strom und damit die Straßenbeleuchtung genommen. Eine Kreuzung in düsterer Nacht. Nach links oder nach rechts? Der Fahrer bog falsch ab. Plötzlich eine Straßensperre, überall Soldaten, das Auto war in den UN-kontrollierten Bereich geraten. Vollgas, dann Schüsse.
Wenige Sekunden später war der Mann von den Komoren, auf den die USA ein Kopfgeld von 3,5 Millionen Euro ausgesetzt hatten, tot. Die somalischen Behörden hatten Mohammeds Ableben schon mehrfach vermeldet, diesmal aber lagen sie richtig. Am Samstag, drei Tage nach den Schüssen, wurde seine Identität nach einem DNA-Abgleich bestätigt. Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton sprach von „einem weiteren signifikanten Schlag“ gegen al-Qaida.
Verlust Mohammeds erschüttert Al-Qaida-Partnerorganisation
Der Verlust des Bombenexperten Mohammed erschüttert aber vor allem die somalische Al-Qaida-Partnerorganisation al-Schabab, als deren militärischer Kopf Mohammed galt. Der in Afghanistan ausgebildete Stratege half bei der mühsamen Finanzierung des Bürgerkrieges. Und ihm folgten Hunderte ausländische Kämpfer in das anarchische Land. Immer professioneller wurden zuletzt die Anschläge gegen die Soldaten der Afrikanischen Union und Anhänger der korrupten Übergangsregierung, die kaum mehr als die Hälfte der Hauptstadt kontrolliert.
Erfolge der Regierung sind selten, also meldete sich prompt ihr Präsident Scharif Scheich Ahmed triumphierend zu Wort: „Wir haben al-Qaida und al-Schabab überwältigt, sie sind schwach und werden immer weniger“, tönte der Politiker.
Tatsächlich verlor al-Schabab zuletzt einige Viertel in Mogadischu, doch das ist allein auf die etwa 9000 Soldaten der Afrikanischen Union zurückzuführen. Für die Rolle des Hoffnungsträgers Somalias taugt die zerstrittene Regierung kaum: Mit Premierminister Mohammed Abdullahi Mohammed soll gerade einer der wenigen fähigen Politiker des Landes abgesetzt werden.
Mehr als Politiker trotzen mutige Zivilisten den Terroristen
Immer deutlicher wird in Mogadischu vielmehr eines: Mehr als Politiker trotzen mutige Zivilisten den Terroristen. Menschen wie Ahmed Nur etwa, der vor neun Monaten das Bürgermeisteramt der Stadt übernahm. Er lebte fast die gesamten 20 Jahre des somalischen Bürgerkrieges in England, arbeitete als Personalberater für die Stadt London.
Nun sitzt er in einem Konferenzraum an einem Laptop. Sein Büro ist neben dem von UN-Soldaten gesicherten Flughafen. Seine Bürger kommen nicht in die Nähe des Gebäudes – es wäre zu gefährlich.
Ahmed Nur spricht schnell, sehr schnell sogar. Er hat keine Zeit, die neue Realität seiner Heimat zu verarbeiten. Keine Zeit, sich wegen der allnächtlichen Drohanrufe von al-Schabab zu sorgen, bei denen er mit Worten wie „Morgen wirst du sterben“ geweckt wird.
Und so fließen seine Eindrücke direkt in seine Sätze: „Die Menschen haben wie in einem dunklen Käfig gelebt. Sie haben akzeptiert, in diesem Gefängnis zu leben, weil sie nichts anderes kennen.“ Ahmed Nur hat in England viel über Verwaltung gelernt.
Aber wie den Schrecken nehmen, die Kraft zum Widerstand wecken? An einem Ort, wo die Menschen selbst dann nicht mehr aus ihren Häusern flüchten, wenn nur wenige Meter weiter seit Tagen geschossen wird? Geld hat er kaum. 15 Prozent der Hafeneinnahmen bekommt die Stadt, das sind rund 70.000 Euro im Monat. Und mehr als 90 Prozent des Stadthaushaltes. Nichts für eine Millionenstadt.
Doch der Bürgermeister sammelte Geld bei den wenigen verbliebenen Unternehmen in den sieben Bezirken der Stadt, die von al-Schabab befreit sind. Und er investierte es in Projekte, die zunächst wie eine Verschwendung anmuten: zwei öffentliche Gärten oder ein Frauenbasketballteam, das im April bei einem Turnier in Nairobi mitmachte.
Bürgergruppen entfernen Müllberge und reinigen die Kanalisation
Die Stadt hat Bürgergruppen gebildet, die Müllberge entfernen und die Kanalisation zumindest notdürftig reinigen. Er hat ein Unternehmen initiiert, in dem mittellose Frauen aus den Bäumen, die überall in den Straßen und Ruinen wuchern, Brennholz anfertigen.
Ahmed Nur vergab Lizenzen an Stromunternehmen, die in Somalia auf bessere Zeiten spekulieren, und forderte im Gegenzug, dass sie einige große Straßen kostenlos beleuchten müssen. Das Licht nimmt der Nacht in Mogadischu immerhin etwas von ihrem Schrecken – trotz des Klangs der Maschinengewehre, der jeder Minute den Takt vorgibt. Nur wer die Macht in Mogadischu hat, beherrscht auch Somalia – diese altbekannte Tatsache erklärt die erbitterten Kämpfe um die Hauptstadt, obwohl die radikal-islamische al-Schabab große Teile des Landes kontrolliert. Deshalb haben auch die 19 Friedensinitiativen, die es seit dem Sturz des Diktators Siad Barré im Jahr 1991 gab, zu keinem Ergebnis geführt. Die Fronten im Kampf um die Stadt haben sich seit etwa 15 Jahren kaum verschoben. Der Norden Mogadischus wurde jahrelang von der islamistischen Organisation Hisbul Islam dominiert, die aber im Dezember vergangenen Jahres in al-Schabab aufgegangen ist. Die humanitäre Situation in dem von den Extremisten kontrollierten Norden und Osten Mogadischus ist katastrophal. Da die allgemeine und vor allem die medizinische Versorgung in dem Gebiet der Übergangsregierung besser ist und viele Bewohner versuchen, dorthin zu flüchten, ist die Regierung überfordert.
Es sind kleine, aber doch starke Botschaften an die vielen Akteure der Stadt, die von dem Chaos und der Perspektivlosigkeit der Jugend profitieren, seien es Al-Schabab-Milizen oder aber auch unabhängige Kriegsfürsten: Wir leben noch. Und wir wollen leben! Die Reaktion zeigt, dass Ahmed Nur richtig liegt. Denn seine Gegner schlagen zurück.
Anfang Februar organisierte er ein Konzert. Musik sollte die Schüsse übertönen, und sei es nur kurz, zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Das Festival endete tödlich. Fünf somalische Soldaten, die mithilfe der UN zur Unterstützung der Übergangsregierung ausgebildet worden waren, eröffneten das Feuer. Drei Zivilisten starben.
Es habe sich um eine Anweisung des Kriegsfürsten Dheere gehandelt, sagt Ahmed Nur. Seine Soldaten würden nur auf ihn hören, egal, wer sie ausbilde: „Die Macht von solchen Leuten basiert auf Einschüchterung.“ Bislang ist Dheere oft ungeschoren davongekommen, diesmal aber wurde er von Truppen der Afrikanischen Union verhaftet.
Der Bürgermeister ballt die Faust, während er erzählt, er tut das oft. Seine Frau und die sechs Kinder leben noch immer in London. Er werde sich nicht einschüchtern lassen, hat er ihnen zum Abschied gesagt. Und dass er überleben werde. Glaubhaft versprechen konnte Ahmed Nur das nicht. Noch immer kommen die Morddrohungen.
Mutige, die sich dem Psychoterror widersetzen
Auch Dr. Ayesha ist eine der Mutigen, die sich dem Psychoterror widersetzen. Sie lebte fast 20 Jahre lang in Italien, wie so viele flüchtete sie in die Diaspora. Seit zwei Monaten betreibt sie eines der drei Krankenhäuser inmitten der zerstörten Stadt. 1200 Euro im Monat für 22 Betten stehen ihr zur Verfügung, Medikamente bekommt sie von ausländischen Spendern.
Sie könnte jetzt über die Ausweglosigkeit ihrer Mission jammern. Schließlich warten Hunderttausende vergeblich auf Hilfe, die meisten Hilfsorganisationen haben die Stadt verlassen. Stattdessen sagt sie: „Die Situation ist nicht einfach. Aber sie hat sich verbessert.
Einige Schulen sind wieder offen. Und es gibt wieder etwas Sicherheit in einigen Teilen der Stadt.“ Bereits vor fünf Jahren war sie nach Mogadischu gereist – und musste die Stadt nach wenigen Wochen wieder verlassen. Sie konnte sich die Sicherheitskräfte nicht leisten, die sie damals noch rund um die Uhr begleiten mussten.
Hoffnung für Menschen, die längst auf den Tod warteten
Immerhin kann sie einigen Menschen Hoffnung geben, die längst auf den Tod gewartet hatten. Ali Mursal etwa. Der Soldat des ehemaligen Diktators Siad Barré sitzt seit 32 Jahren im Rollstuhl, eine Pistolenkugel durchbohrte damals seine Wirbelsäule.
„Seit Beginn des Bürgerkrieges habe ich kaum medizinische Versorgung bekommen“, erzählt der Kriegsveteran. Hilflos musste er mit ansehen, wie vor seiner Tür Raketen einschlugen und wenige Meter weiter Nachbarn starben. Gefesselt an den Rollstuhl, er konnte nicht weglaufen.
„Ich bin froh, dass Dr. Ayesha hier ist. Ich hätte nicht mehr damit gerechnet, dass sich noch jemand kümmert.“ Vielleicht kommen sie doch eines Tages zurück, seine vier Kinder, die in Kenia leben. In ein friedliches Somalia, sagt Mursal. Er hat diesen Satz lange nicht zu denken gewagt.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (15.06.2011)
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