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Deutsche Teilung: Spektakuläre Flucht im Handschuhfach eines Cadillacs
Wer etwas zu verbergen hat, kann sich möglichst unauffällig benehmen – oder auffallen um jeden Preis. Mitte der sechziger Jahre gab es wohl keine Möglichkeit, beim Passieren des Eisernen Vorhangs quer durch Mitteleuropa mehr Blicke auf sich zu ziehen als in einem Cadillac De Ville Baujahr 1957 mit seinen riesigen Heckflossen und Weißwandreifen. Nicht einmal ein Prunkwagen des rheinischen Karnevals hätte weniger dezent sein können.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb kamen mit eben diesem Cadillac zwischen 1964 und 1967 über 200 DDR-Bürger in die Freiheit – mehr als mit jedem anderen einzelnen Auto. Sie versteckten sich nicht wie bei anderen umgebauten Fluchtfahrzeugen in einem ausgehöhlten Sitz, einer trickreich manipulierten Rückenlehne oder einem doppelten Boden zwischen Kofferraum und Hinterachse. Denn der Cadillac hatte einen ganz besonderen Vorteil: ein gigantisches Armaturenbrett, unter dem kein Grenzkontrolleur nach einem verborgenen Menschen suchen würde.
Unterschenkel im Radkasten
1,40 Meter lang, 45 Zentimeter breit und 30 Zentimeter hoch war das Versteck; der Flüchtling legte sich mit dem Kopf in eine Art Schale rechts neben der Lenksäule und winkelte die Unterschenkel so ab, dass sie Platz im rechten Radkasten fanden. Geöffnet werden konnte das mit elektromagnetischen Zapfen verschlossene Armaturenbrett nur, indem man ein Metallstück in ein Loch im Zigarettenanzünder stieß. Das würde kein Kontrolleur tun, denn solche Anzünder standen normalerweise unter Spannung.
Von Oktober 1964 bis Mitte November 1967 lang nutzten drei verschiedene Fluchthilfe-Organisationen das Auto, mit oft wechselnden Fahrern, Nummernschildern und unterschiedlichen Farben – mal elfenbein-weiß, mal knallrot. Schließlich wurde sogar das Fabrikat des Wagen manipuliert: Aus dem Cadillac wurde in den Papieren und durch Austausch des Kühlergrills zuerst ein Mercury, dann ein Plymouth. Unterscheiden konnte das ohnehin kein Kontrolleur, und durchgesickert an die DDR-Staatssicherheit war lediglich, dass Flüchtlinge mit einem Cadillac „geschleust“ würden.
Die Details dieser ebenso dreisten wie erfolgreichen Aktion offenbart jetzt zum ersten Mal Burkhart Veigel, der die Idee zum Umbau des Cadillacs hatte. Er gehörte in den sechziger Jahren zu den zwei oder drei erfolgreichsten Fluchthelfer überhaupt, holte insgesamt rund 650 Menschen aus der SED-Diktatur in die Freiheit – und veröffentlicht die wichtigsten seiner Tricks in seinem Buch „Wege durch die Mauer“, das dieser Tage erscheint (Edition Berliner Unterwelten, Berlin, 432 Seiten, 19,95 Euro).
Fluchthilfe hat bis heute immer noch einen üblen Beigeschmack. Das ist eine Nachwirkung der SED-Propaganda, die schon unmittelbar nach dem Mauerbau gegen die vermeintlichen „Menschenhändler“ polemisierte. In der sozialistischen Weltsicht hatte die Tatsache keinen Platz, dass gerade jüngere, gut ausgebildete Menschen aus dem „Arbeiter- und Bauer-Staat“ keineswegs „abgeworben“ werden mussten. Vielmehr gab es seit der Grenzschließung 1961 bei hunderttausenden DDR-Bürgern den Wunsch, in Freiheit leben zu können.
750 flohen durch die Kanalisation
Dabei halfen ihnen vom 14. August 1961 an mutige West-Berliner und Bundesbürger auf den unterschiedlichsten Wegen. Einige Fluchtwege, intern „Touren“ genannt, führten mittels improvisierter Seilbahnen über den oder durch aufwendig gebuddelte Tunnel unter dem Todesstreifen hindurch. Die schmutzigste Fluchtmöglichkeit war bis in den Spätherbst 1961 die Berliner Kanalisation, die rund 750 DDR-Bürger benutzten.
Ab 1964 schlug die SED-Hetze gegen die vermeintlichen „Terroristen“ auch in westdeutschen Medien durch. Nachdem bei der erfolgreichsten aller Tunnelfluchten Anfang Oktober ein DDR-Grenzer bei einem Schusswechsel mit Fluchthelfern gestorben war, attackierte die Wochenzeitung „Die Zeit“ die Tunnelbauer scharf und unterstellte ihnen, mit dem Fluchtstollen „viel Geld verdient“ zu haben. Ob diese Behauptung von der Stasi inspiriert war oder nicht, konnte bis heute nicht geklärt werden.
Monatelang wurde ein Tunnel gegraben
Zwei, die monatelang an diesem Tunnel der Gruppe um Wolfgang Fuchs mitgegraben haben, legen jetzt ebenfalls ein Buch vor. In „Fluchthelfer“ stellen Klaus-M. von Keussler und Peter Schulenburg dar, wie die Arbeit in der Gruppe um Fuchs tatsächlich ablief (Berlin-Story-Verlag, Berlin. 384 Seiten, 19,80 Euro).
Sie dokumentieren, auf welchen Wegen Großvorhaben wie die insgesamt fünf Tunnelbauten unter Leitung von Fuchs in Wirklichkeit finanziert wurden und widerlegen so die SED-Propaganda: Die Fluchthelfer sammelten bei verschiedenen Sponsoren Geld ein, außerdem bei westdeutschen Verwandten der DDR-Bürger. Ob jemand in die Freiheit geholt wurde, hing an persönlichen Beziehungen und Vertrauen, nicht an finanziellen Fragen.
Zu den spektakulären Aktionen gehörte eine Flucht im Norden West-Berlins. Pünktlich zum Wachwechsel genau um zwölf Uhr mittags sollten vier Flüchtlinge mit einem DDR-Auto Typ „Trabant“ am Wilhelmsruher Damm soweit wie möglich in die Sperren eindringen. Dann wollten Fluchthelfer Nebelgranaten werfen, um den überraschten Grenzern die Sicht zu versperren, und den Flüchtlingen durch den aufgeschnittenen Stacheldraht zur Hilfe kommen.
Allerdings misslang der Plan teilweise: Erst erwies sich der Trabbi als viel zu schwach, um die Straßensperren zu durchschlagen; stattdessen blieb das Auto gleich am ersten Schlagbaum stecken. Dann gelang die Vernebelung nicht: Die Fluchthelfer hatten offenbar die Zündschnüre zu kurz brennen lassen, bevor sie die Rauchtöpfe über die Grenze warfen. Die Grenzer eröffneten sofort das gezielte Feuer auf Flüchtlinge und Fluchthelfer; die beiden Frauen hatten Probleme, durch den Stacheldraht zu klettern. Trotzdem gelang die Flucht am helllichten Tag.
Der Ost-Berliner Stadtkommandant Helmut Poppe, Chef der Grenztruppen rund um West-Berlin, zog aus dem Ereignis den Schluss, dass „nunmehr Klarheit zu schaffen ist, dass trotz Anwendung von Nebelmitteln durch den Gegner Grenzverletzer durch wirksame Feuerführung (Dauerfeuer) zu vernichten sind“. Ähnlich rücksichtslos, aber heimlich ging die Stasi vor.
Zahlreiche Spitzel wurden auf die „Schleuser“ angesetzt, viele Fluchtwillige und ihre Helfer gingen ins Netz. Keinen Erfolg hatten die Versuche, die Gruppe um Wolfgang Fuchs zu infiltrieren. Also verlegte man sich auf öffentliche Desinformation, etwa durch Walter Barthel alias IM „Kurt“, der als freier Journalist unter anderem für den „Kölner Stadtanzeiger“ tätig war. Er sollte eine angeblich bevorstehende „Tunnelschleusung“ bekannt machen und so zum Scheitern zu bringen. Doch die Zeitung weigerte sich, zum „Tunnelverräter“ zu werden, musste Barthel seinen Auftraggebern mitteilen.
Fluchthilfe war Widerstand
Gut zwei Jahre später war Barthel der geheime Kopf der Kampagne gegen Axel Springer in West-Berlin: In seinem teilweise aus der DDR finanzierten „Extra-Blatt“ formulierte er neben Attacken auf Fluchthelfer scharfe Angriffe auf den Verleger und sein Unternehmen, in dem auch „Die Welt“ erschien und erscheint.
Eine Nachwirkung des konzentrierten Angriffs der Stasi auf die Fluchthelfer in den sechziger Jahren ist, dass viele von ihnen bis heute untereinander zerstritten sind. Auch deshalb ist die Leistung der seriösen Fluchthelfer (es gab auch Kriminelle) bis heute nicht angemessen gewürdigt worden. Veigel, von Keussler und Schulenburg wollen das ändern: Fluchthilfe war Widerstand.
Den umgebauten Cadillac übrigens verkaufte Burkhart Veigel Anfang 1967 an Wolfgang Fuchs, der damit rund 80 DDR-Bürger in den Westen schmuggelte. Dann fiel die Limousine einem tschechischen Wachposten auf, zwei Fluchthelfer wurden für einige Zeit inhaftiert, aber nicht an die DDR ausgeliefert. Das umgebaute Auto blieb konfisziert. Damit verliert sich die Spur des spektakulären Fluchtvehikels.
Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (02.10.2011) W
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