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Bundesversammlung: Conferencier Lammert unterhält das Hohe Haus
Es war eine kurze Wahl ohne Schnörkel und dennoch eine, für die das Attribut „historisch“ bemüht wird. Für die folgenden Episoden mag sich vielleicht kein Geschichtsschreiber je interessieren; ohne sie wäre das Bild dieses Tages aber mindestens unvollständig.
Ein Sommertag im März
Es ist warm in Berlin, das wärmste März-Wochenende seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Bürger ist auf den Beinen und diese tragen ihn erstaunlicherweise sehr nahe an den Reichstag heran, in dem die Bundesversammlung zusammenkommt. Die Polizei beweist Gelassenheit.
Es ist noch kein Jahr her, da konnte man nicht am Parlament entlang gehen. In mehreren Hundert Metern Entfernung waren Zugänge abgeriegelt. Ein trostloses Bild. Die Angst vor einem Terroranschlag war groß. Am Sonntag dagegen werden nicht einmal zwei verlassene Elektro-Fahrräder entfernt. Ein Polizeihund, der schon im Reichstag seinen Schnüffeldienst getan hat, inspiziert sie, dann lässt man sie stehen.
König Otto, der Ärmste
Um elf Uhr kommen die Fraktionen zu letzten Sitzungen zusammen. Bei der CDU herrscht lockere Atmosphäre. So locker, dass sich Fraktionschef Volker Kauder erlaubt, einen der Anwesenden direkt anzusprechen. Man wünsche sich, dass der Hauptstadtclub in eine gute Zukunft gehe, sagt er in Richtung von Otto Rehhagel, dem Trainer von Hertha BSC Berlin.
Der Verein war am Vortag im Olympiastadion von Bayern München mit einem 0:6 blamiert worden. Nach Kauder erhebt sich Rehagel und geht ans Mikro: „Denk ich an Bayern in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“ Dann präsentiert Angela Merkel ihre lebenspraktische Erfolgsformel: „Also trotz der Bayern, ich schlafe immer gut.“
Präsident der Schmerzen
Während die Fraktionen tagen, betritt als einer der ersten Ehrengäste Andreas Voßkuhle die Tribüne im Plenarsaal. Geht vor bis an die Brüstung und blickt eine Weile hinab, bis ihn andere Ehrengäste entdecken. Den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts hätte die Berliner Koalition gern zu ihrem Kandidaten gemacht.
Aber Voßkuhle lehnte ab und bereut dies nicht: „Jetzt sind mir schon Gedanken durch den Kopf gegangen: Was wäre, wenn…“, konzediert er. „Aber die Entscheidung war richtig.“ Präsident des Verfassungsgerichts sei auch ein wichtiges Amt. „Der Kapitän geht in diesen bewegten Zeiten nicht von Bord.“
Der Stellvertreter
Gemessenen Schritts nur ist Horst Seehofer an diesem Tag unterwegs. Als laste noch das Amt auf ihm. Für vier Wochen hat der bayerische Ministerpräsident als amtierender Bundesratspräsident den Bundespräsidenten vertreten. Und er hat daraus Lehren gezogen. Häufiger im Kammerton wolle er in Zukunft sprechen, sich auf das Erklären und Erläutern verlegen, sagte er der „Welt am Sonntag“.
Man wird sehen, ob er sich daran hält. Am Samstag lieferte er einen Beweis seiner neuen Bescheidenheit ab. In der Unions-Fraktionssitzung verzichtete er auf eine Ansprache und überließ Merkel das Reden. „Ich gehe davon aus, dass du dich meiner Meinung vollumfänglich anschließt“, sagte sie also an die Adresse Seehofers. Der schwieg. „Von einer historischen Stunde“ wollte der ebenfalls anwesende Joachim Gauck daraufhin sprechen.
Die Dolmetscher
Erstmals wird bei einer solchen Wahl jedes Wort in Gebärdensprache übersetzt. Rechts neben der Europaflagge wechseln sich ein junger Mann und eine junge Frau bei dieser Aufgabe ab. Auch der Gottesdienst am Morgen wurde gedolmetscht. In der Bundesversammlung sitzt mit Martin Zierold (Grüne, Berlin-Mitte) der erste gehörlose Parlamentarier der deutschen Geschichte.
Nachfolger in der Not
Es könne ja sein, sagt Ingo Appelt, dass Joachim Gauck am Abend bereits wieder zurücktreten werde. „Dafür halte ich mich bereit.“ Der Kabarettist ist von der SPD eingeladen worden, an der Bundesversammlung teilzunehmen.
Von der „Pole Position“ durfte er starten, sein Name fällt unter den ersten zehn der in alphabetischer Folge verlesenen 1233 anwesenden Mitglieder. Da bleibt Zeit genug, um Interviews zu geben und Gauck, den er wählen sollte, zu loben: „Er hat einfach Humor.“
Richtig schlemmen
Humor beweist auch Bundestagspräsident Norbert Lammert. Wie schon 2009 und 2010 brilliert er als eine Art Conferencier. Mit trockener, pointierter Rede unterhält er das Hohe Haus. So bittet er am Ende des Wahlgangs: „Schwimmen Sie nicht zu weit hinaus.“ 45 Minuten solle das Auszählen nur dauern.
Nach der finalen Nationalhymne schließlich entlässt er die Versammlung zum Empfang unter die Kuppel: „Das Essen ist nicht notwendigerweise besser als beim letzten Mal, aber mit Sicherheit frischer als nach drei Wahlgängen.“
Man erinnert sich ungern: 2010 waren drei Wahlgänge nötig, und die bedauernswerten Köche mussten die Speisen über fünf Stunden gegen Hungerleider verteidigen. Speziell dem Fisch hat die Unentschiedenheit der Wahlleute nicht gutgetan.
"Endlich einer von uns"
Vor dem Reichstag, wo an windigen Tagen Drachen steigen, hat die ARD einen großen Bildschirm aufgebaut. Rund 1000 Bürger verfolgen die Bundesversammlung dort. Ein älterer Herr hat eine zwei Meter hohe Deutschland-Fahne mitgebracht. Jubel brandet auf, als drinnen das Ergebnis und die Wahl Gaucks verkündet werden. Eine, die sich richtig freut, ist Dorit Hartmann. Sie trägt ein T-Shirt, auf dem das Konterfei Gaucks zu sehen ist. „Yes we Gauck“, steht darunter.
Zusammen mit einer Freundin hält sie ein improvisiertes Plakat in die Höhe: „Endlich einer von uns“, lautet der rote Schriftzug. „Ich habe die letzten beiden Bundespräsidenten nicht als meine empfunden“, sagt sie. Befangen freilich sei sie, schickt sie hinterher.
Als Rostockerin kennt sie Gauck persönlich, war sie in seiner „Jungen Gemeinde“ in Evershagen. Sie hat erlebt, wie die Stasi sie anwerben wollte und wie die Behörde dies, nachdem sie sich Gauck anvertraut hatte, hat bleiben lassen: „Er hat sich für uns eingesetzt, immer, das vergisst man nicht.“
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: sorvynosov (18.03.2012)
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